Sonntag, 30. Oktober 2011

Feuerholz, Wald, und das Dorf weiß alles



Morgens nach dem Aufstehen wusste ich in Putsil nie wie der Tag werden würde. Die einzigen Gewissheiten waren Frühstück, Mittag- und Abendessen. Entsprechend gespannt war ich jeden morgen. Jeder Tag war eine kleine Herausforderung.

Nach der billigen Ankündigung gestern, erzähle ich euch jetzt wie mein Feuerholzsammeltag war.

Als Anguli Dienstagmorgen kurz erwähnte, dass sie Feuerholz sammeln gehen würde, sah ich meine Chance. Kurzer Einschub: Hier in Orissa wird „A“ wie „O“ ausgeprochen – Onguli. Marshal und ich fragten also Anguli, ob ich mitkommen könne, worauf sie furchtbar lachen musste und sagte: „Das möchte ich aber mal sehen, wie du das machst.“ Tja, ich auch. Fand ich schon mal gut, dass wir da die selben Erwartungen hatten.
Einer meiner Putsilfreunde war ob meiner Aktion sehr skeptisch. „Freddybrother, don’t go!“ Die jüngeren Leute in Putsil nannten mich immer Brother. Freddy oder Frederick ist ein Name, mit dessen Aussprache man als Inder so seine Probleme hat. Er konnte das einigermaßen. Mein Putsilfreund sorgte sich, dass ich im Wald hinfalle, es kräftemäßig nicht aushalte, oder – und es schien mir manchmal so, als sei das das Schlimmste – ich hungrig. Ich erklärte ihm, dass ich das ungedingt machen wollte, da ich ja wissen wollte wie ich das mache, das Holzsammeln, und Anguli wollte das auch wissen, also musste er mich ziehen lassen. Aber nicht ohne dass ich was esse. „Take biscuits Freddybrother.“ Mit zehn Keksen in der Tasche und Cappy auf dem Kopf war ich dann startklar. Weiterlesen:

Anguli führte mich zu der Gruppe, mit der wir Sammeln gehen würden. Ich wurde noch mal ein bisschen ausgelacht, denn eigentlich ist das Holzsammeln hauptsächlich eine Aufgabe für Mädchen von 12 bis 20 Jahren, und bekam eine Sichel zum Schneiden. Erst eine normale, die nahm mir Anguli dann aber wieder ab, und gab mir die Kindersicheledition, was sie sehr lustig fand.
Die Mädchen gehen jeden Tag Feuerholzsammeln. Deswegen gibt es im direkten Umfeld von Putsil nichts mehr zu holen, man muss weit in die Wälder gehen. Und das bedeutet ein bisschen Klettern, das Dorf ist komplett von Hügeln umgeben.

Sicheledition Kind

Der Aufstieg war ordentlich anstrengend, aber für die Mädchen kein Problem. Den Weg, den ich beschwerlich mit Wanderschuhen gegangen bin, gingen sie mit Leichtigkeit im Kleid und auf Flip-Flops.
Ab und zu hielten wir auf dem Weg an, um Ausschau nach Holz zu halten. Meine Weggefährtinnen hatten einen verdammt scharfen Blick dafür, welche Stöcker sich zum Befeuern eignen. Sie hatten es ausschließlich auf trockene Stöcker abgesehen. Und zwar nicht nur, weil sie besser brennen, wie sogar ich weiß, sondern weil der Wald in ihren Leben eine besondere Rolle einnimmt. Jeder in Putsil kann jede Pflanze und jeden Baum im Wald benennen und weiß, wozu man sie gebrauchen kann. Bevor Putsil christlich wurde, lebten seine Einwohner nach einem Naturglauben. Sie beteten zu den Bäumen. In der traditionellen Adivasikultur scheint die Natur etwas Heiliges zu sein.
Wir streiften also gewissenhaft durch die Hügel, die Mädchen mit geschultem Auge, und ab und zu aß ich ein paar Kekse. Die Mädchen, die die Arbeit verrichteten, wollten natürlich keine annehmen.
Ich habe nur einen kleinen Teil zum Feuerholz beigetragen, und Anguli weiß jetzt, wie das aussieht, wenn ich Feuerholz sammele. Ich habe die Stöcker geordnet, und viel fotografiert und noch mehr beobachtet.


Ich bin fasziniert von der Stärke, der Ausdauer und der Geduld, die ich dort sah. Die Mädchen machen diese Arbeit fast jeden Tag, jedes Mal vier Stunden lang.
Immer wieder die Hügel hochwandern, an Stellen vorbei, an denen sie schon hunderte Male vorbeikamen und wo sich schon lange kein Feuerholz findet ließ, immer weitersuchen, immer die trockenen Hölzer abschlagen, immer sammeln.
Und trotzdem fand man ihren Gesichtern immer ein Lächeln, und durfte so manchen Albernheiten lauschen, auch wenn man sie nicht verstand, jedenfalls nicht in Worten.

Die Mädchen teilten sich oft auf beim Suchen, und ab und zu riefen sie sich einen bestimmten Laut zu, um zu zeigen, wo sie waren, und auf Antwort zu warten, wo die anderen waren.
So konnten sie sich anschließend wieder sammeln, um dann gemeinsam ziemlich große Bündel Holz zu schnüren, bereit auf dem Kopf ins Dorf getragen zu werden.


Nach einer kurzen Pause hievten sie sich das Feuerholz auf den Kopf, und balancierten es die Strecke, die ich schon auf dem Hinweg frei Hand schwierig fand, im selben Tempo wie beim Raufgehen ins Dorf. Wir waren recht schnell unterwegs, Anguli fiel ein Stock herunter, und so konnte ich dann auch ein Feuerholz tragen. Mit meinem einen Feuerholz schritt ich den Mädchen auf unglaublich unglaublich unelegante Art hinterher. Manchmal kam ich ein bisschen ins Rutschen, aber das war kein Problem, ich hatte ja keinen Stock.


Jedenfalls war es kein Problem bis kurz vor Putsil, bis zu den Reisterassen, die wir herunter klettern mussten. Anguli ging sehr langsam vor, sie hatte ja ordentlich was  auf dem Kopf. Ich nicht, also dachte ich mir, kann ich da ruhig schneller runterkommen als sie. Das tat ich dann auch. Nur nicht auf den Füßen, sondern auf dem Hintern, und das auch nicht freiwillig. Die Mädchen schrien alle auf, nicht dass sich der deutsche Gast bei ihnen verletzte, und ich machte schnell klar, dass alles okay ist. Nur meine Hose hatte danach die schöne rote Erdfarbe und mein Steißbein machte sich noch bis in die Nacht bemerkbar. Im Nachhinein fanden die Damen das ziemlich lustig, und mir war es endlos peinlich. Ich hatte noch nicht mal was getragen, war der einzige, der vernünftige Schuhe anhatte und naja, eben auch der einzige, der hingefallen ist.

Hinfallstellle.

Am nächsten Morgen hatte ich dann Gewissheit, dass zwischen den Putsilbewohnern die Kommunikation bestens funktioniert. Typisch dorfmäßig wusste am nächsten Tag jeder, wirklich jeder, dass sich der Deutsche beim Holzsammeln ordentlich gepackt hat.
Der Dorfpräsident sprach mich gleich drauf an, und tastete ein bisschen an meinen Beinen rum. Er ist sowieso ein ganz Cleverer, er legt überall mal Hand an, ist überall mal dabei. Ob das beim Schmieden, bei deutschen Beinen, oder beim Hausbau ist, der Dorfpräsident ist überall. Das macht er sehr geschickt.

Von meinem Hinfallen hatten Putsil und ich noch die ganze Woche was. Immer mal wieder wurde ich darauf angesprochen. „You fell down, brother?“

Tja, jetzt werde ich dort nicht vergessen, und ich vergesse den Tag auch nicht. Er hat Spaß gemacht. 


Der fertige Freddybrother danach.



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