Freitag, 9. Dezember 2011

3 Tage Bissamcuttack, 3 Tage Kalkutta, 53 Stunden Bahnfahrt: Teil 1 – Bissamcuttack und 5 Stunden Bahnfahrt



Meine Organisation hat in Indien nicht nur wida als Partner zum Einsetzen von jungen Leuten wie mir, sondern auch ein christliches Krankenhaus in Bissamcuttack. Dort wohnen zurzeit Gabriel und Gyde. Gabriel ist gerade erst aus Kolkata angekommen und für Gyde ist ihre Zeit in Indien schon fast wieder vorbei. Sie nimmt an einem dreimonatigen Freiwilligenprogramm teil. Und weil das wie gesagt schon fast wieder vorbei ist, wollten wir sie noch mal ein paar Tage besuchen.

Die Indische Eisenbahn

Damit verbunden war auch unsere allererste Bahnfahrt in Indien. Das Ticketbuchen war eine große Freude.
Wer Langzeitfrustration erleben möchte, sollte die Seite www.irctc.co.in besuchen. Auf dieser wundervollen Seite, die von der Regierung verwaltet wird, ist besonders dem Nutzer mit ausländischer Kreditkarte ein grenzenloser Spaß garantiert, da die Seite einfach nicht funktioniert.
Doch auch als Inder wird man hier auf Trapp gehalten. Die Verbindungen durch das flächenmäßig siebtgrößte Land der Welt darf man sich komplett selbst raussuchen, mit Umsteigepunkten.
In dem Punkt ist die Deutsche Bahn und auch der Hamburger Verkehrsverbund eine tolle Truppe.

Unsere erste Bahnfahrt dauerte 220 Kilometer und 5 Stunden an.
Die indische Eisenbahn ist der größte Arbeitgeber der Welt.
In dem Punkt sind sie eine große Truppe.
Auch sonst ist das indische Bahnfahren eine große Angelegenheit. Auf dem Dach sitzt hier allerdings niemand. Wir saßen in der Sleeper Class. Sehr spartanisch, das Günstigste was man reservieren kann, und man hat Platz zum Schlafen.
Zum Kontrollieren kommt der Schaffner mit einer gigantischen Boardingliste wie im Flugzeug, setzt sich zu einem und dann werden alle Namen abgehakt.
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Schön war der Moment, als uns ein junger Mann mit Handtasche und einer guten Menge MakeUp im Gesicht um eine Spende forderte. Er sagte gar nichts, sondern klatschte nur zweimal in die Hände. Als wir dies ablehnten, gab er ein schwer enttäuschtes und divenhaftes „cha“ von sich, zeigte uns nochmal seine ganze Schönheit in dem er Hannes und mir schöne Augen machte, um dann in einer Wolke von billigem Parfum zu verschwinden.

Ich hatte im Vorfeld schon von den transsexuellen Bettlern gehört. Sie wären nervtötend hartnäckig sagte man mir. Das fand ich nicht. Ich fand sie-ihn einfach nur unhöflich.

Im Krankenhaus

Spätabends kamen wir in Bissamcuttack an, und noch am selben Abend bot Gyde uns an, am nächsten Tag einer Operation beizuwohnen, was insgeheim mein großes Ziel für die Zeit im Krankenhaus war, nicht auf dem Tisch und ohne Nakose.

Naja, am ersten Tag wurde das dann nichts, weil die Chirurgen an dem Tag einen besonders freudigen Ablauf hatten und schon vor der geplanten Zeit fertig waren.

Ein Chirurg sagte mir am Tag danach beim Mittagessen noch: „We just cut, cut, cut and finish.“, wonach er lustig kichern musste.

Naja, statt der OP dann die Führung. Das Christan Hospital in Bissamcuttack ist nicht nur Krankenhaus, sondern beherbergt auch noch eine Schule und eine eigene NGO, über die den umliegenden Adivasidörfen geholfen wird. Aufgebaut wurde das Ganze wohl von einer Dänin in den 50er Jahren, von der ich ein Foto im Krankenhaus gesehen hab. Es war spitze, leider habe ich es nicht fotografiert. Sie wurde damals im Halbportrait fotografiert, bei der Kaffeepause mit Zigarette und einer recht grimmigen Miene. Ein klasse Bild. Sie war wohl eine ziemlich starke Dame, sprach fließend Oriya und die Stammessprache Kuwi und hat, wie ich selbst erlebte, etwas wirklich Gutes in Indien aufgebaut.

Ein Arzt beschreibt die Art, wie man dort mit den Patienten verfährt, als Robin Hood-Variante.
Wohlhabende Menschen bezahlen den normalen Preis für die Behandlung, womit das Krankenhaus die Kosten für die Armen subventioniert.
Ich habe einen Fall gesehen, bei dem die Familie nur 300 Rupien dabei hatte, und obwohl die Behandlung eigentlich 15 000 Rs gekostet hätte, sagten die Ärzte: Okay, los geht’s.“

Das fand ich stark.

Beim Rundgang haben wir unter anderem in der Babystation vorbeigeschaut.
Auch bei den Frühchen.
Ihre Winzigkeit hat mich umgehauen. Sie waren unglaublich klein. Miniaturmenschen, mit Händen genauso aufgebaut wie meine, nur ein (wenn es hoch kommt) ein Zehntel so groß. Da stand ich dann, in der Frühchenabteilung und habe einen dieser Miniaturmenschen minutenlang bestaunt.

Während unseres Besuches setzte bei einem der Racker der Atem aus, den die Schwestern dann aber in unter einer Minute wieder auf eine sichere Bahn gebracht haben.
Es sieht so aus, als würden alle Früchchen der Station in den nächsten Jahrzehnten zu gesunden Menschen heranwachsen, die ich dann wahrscheinlich aber nicht mehr minutenlang bestaunen werde.

Es sei denn, sie machen mir schöne Augen, wie es Transvestiten in der indischen Eisenbahn zu tun pflegen.

Hoden


Am nächsten Tag ging es dann in den OP. Im Vorfeld war mir ordentlich schwindelig, da ich als Nichtraucher eine indische Beedi probiert hatte. Nikotinflash.
Das legte sich aber schnell wieder. Und auch so schien die Operation gut geeignet für Einsteiger. Es sollte wohl ein Mann mit Wasser im Bauch auf den Operationstisch kommen. Wir zogen uns also lässig um, ich zwängte mich in ein viel zu enges Oberteil in bordeaux-rot und ab gings in den Saal.
Als der Patient dann splitternackt hereingefahren wurde, brachte er eine kleine Überraschung mit.

Er hatte das Wasser nicht im Bauch gesammelt, sondern in seinem Hoden, der so eine außerordentliche Größe annahm. Hannes, Gabriel und ich waren wenig begeistert.
Hier war also das Gegenstück zu den Miniaturhänden. Ein gigantisches Skrotum, dessen Anlitz mich ebenfalls staunen ließ, allerdings weniger auf eine bewundernde Weise, sondern aus einem ganz einfachen Ekelgefühl, da das, was man dort sah, gerade als männlicher Betrachter schwere Kost für die Äuglein war.
Ein echter Kaltstart.

Aber nach kurzer Zeit war auch verdrängt, woran da gerade operiert wurde. Und ich konnte wieder positiv staunen, wie filigran der Chirurg die einzelnen Hautschichten aufschnitt. Unglaublich präzise.

Nur der Moment als der Chirurg sagte: „Geh jetzt mal lieber zur Seite.“, und mir beim Weggehen diese Hodenflüssigkeit am Gesicht vorbeiflog, war dann wieder leicht unangenehm.

Insgesamt haben wir in Bissamcuttack fünf Operationen gesehen. Einmal Hoden, zweimal Hernie, einmal den Magenbypass und noch einen Kaiserschnitt.

Beim Magenbypass nahm man sich während der Operation viel Zeit für die Auswahl der Musik. Sie wurde mehrmals geändert und am Ende gab es Klänge, die in meinen Ohren sehr nach Bollywood klangen.


Wir drei waren ziemlich baff, wie man sich zwischen dem ganzen Gewirr aus Darmschlingen und anderen Organen (und einer großen Auswahl an CD’s) zurecht finden kann , und mussten uns am Ende der OP nochmal aufmalen lassen, was genau da eigentlich gemacht wurde.
Der Patient hatte ein schweres Magengeschwür am Magenausgang, und das sollte mit einem, wie der Fachkundige sagt, Y-Bypass umgegangen werden.

Cut, cut, cut und man hat den Y-Bypass

Als es zum Kaiserschnitt ging, war ich ordentlich überrascht, wie schnell das Kind draußen war. Der Vorgang hat gerade mal 10 Minuten gedauert. Das Langwierige bei so einem Kaiserschnitt ist das Zumachen. Das muss man ja schließlich nun auch mal machen, wenn man einer schwangeren Dame ein nettes Fenster in den Bauch schneidet, aus dem ein strammer Bursche „Kuck kuck“ sagt.
Wenn man den Bauch nicht wieder richtig zunäht, kann die Naht aufreißen und die Frau verbluten. Also wurde jede Hautschicht doppelt vernäht, und da man dabei auch die Magengegend berührt musste sich die Patientin während der Operation ziemlich übergeben, sie hatte nur eine lokale Betäubung.
Und schon wieder kamen wir ins Staunen. Während sie sich übergab, schnellte der Puls von 60-70 auf 150 Punkte nach oben.

Der Mensch ist ein irres Gebilde. Auch von innen.

Auch außerhalb des OP’s hatten wir schöne Tage in Bissamcuttack. Die ganze Crew dort hat eine sehr warmherzige Ausstrahlung.

Es war interessant zu hören, dass ich mit einfacher Anwesenheit und ein paar Sätzen von äußerst gebrochenem Oriya und verlegendem Lächeln wohl die Augen eines gehörigen Teils der örtlichen Schwesternschaft verdreht habe.

Jedenfalls herrschte immer großes, großes Gekicher, wenn ich Namaskaar sagte.
Das steckte mir Gyde aus dem Schwesternheim. Fand ich gut.

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